Amour Fou auf den Goa-Dancefloors Europas
Ein Spielfilm über Liebe, Psytrance und die Suche nach den Sinn des Leben
Es ist ein spannendes Porträt der Goa-Szene, ein Liebesfilm und eine Liebeserklärung an die Szene. „You are Everything“ ist ein Film von Lena Geller und Matthias Becker, der Psytrance Freaks begeistert und Neugierige in eine neue Welt mitnimmt.
Es geht um die intellektuellen Berliner Spaßbremsen Georg (Grégoire Gros) und Vera (Eva Kessler), die in ihrem Leben feststecken. Sie hadert mit ihrer Doktorarbeit. Er kassiert als freier Journalist nur Absagen. Kurz vor ihrem geplanten Ostseeurlaub erhält Georg dann den Auftrag, eine Reportage über die Goa-Szene zu schreiben.
Statt Muscheln zwischen Strandkörben zu suchen, geht es also ab auf die Antaris. Dabei bleibt es nicht. Sie lernen den DJ Dave Zuma (Adam Nümm) kennen. Und weil sie eigentlich nichts zu verlieren haben, begeben Georg und Vera sich kurzerhand mit ihm in seinem Hippiebus auf eine Festival-Tour quer durch Europa über den Balkan Richtung Süden. Die Reise ihres Lebens beginnt – untermalt von einer gelungenen Musikauswahl wie Tracks von Ajja bis Cosmo.
Goa-Gesellschaft inspiriert zu wegweisenden Entscheidungen
Dabei entspinnt sich zwischen Georg, Vera und Dave eine leidenschaftliche Amour Fou, in welcher Nähe und Konflikt, Hass und Liebe ihnen deutlich machen: Das alles heißt am Leben zu sein. Sie bewegen sich dabei in der Goa-Szene, in der Freiheit, Liebe, Lebensfreude und das Miteinander mehr zählen als alle gesellschaftlichen Unterschiede. Sie lieben, leiden, beginnen nachzudenken, machen sich frei von Zwängen und treffen wegweisende Entscheidungen.
Goa-Szene zusammen mit Filmfiguren entdeckt
Die Idee zu einem Spielfilm in der Goa-Festival-Szene kam der Drehbuchautorin und Regisseurin Lena sowie Produzent und Kameramann Matthias 2011 auf einer Indoor-Goa-Party in Berlin. Bis da hatten beide nur kleine Goa-Partys erlebt. „Wir haben die Szene in Europa mit unseren Filmfiguren entdeckt“, so Matthias. Bei Szene-Größen, Veranstaltern und Artists rannten sie mit ihrer Idee offene Türen ein. „Wir sind überall mit offenen Armen empfangen worden“, so Lena.
Dreharbeiten auf Goa-Festivals von Antaris bis Tree of Life
Mit einem minimalen Budget ist das zwölfköpfige Filmteam für über 100 Drehtage lang 2011 und 2012 mit zwei alten Autos und einem bunt bemalten Wohnmobil etwa 20.000 Kilometer weit zu zwölf Goa-Festivals gereist wie Spirit Base in Österreich und Ungarn, Life Celebration in Kroatien, Paradise in Österreich, Antaris in Deutschland, Ozora in Ungarn, Sonica in Montenegro, Aurora in Griechenland, Universal Religion in Nepal, Tree of Life in der Türkei, Boom in Portugal und Psy-Fi in den Niederlanden.
Lebensgefahr beim Filmen
Doch nicht alles lief glatt. „Auf der Insel Samothraki wäre ich beinahe von einem Berg in die Tiefe gestürzt. Bei den Dreharbeiten im Meer hätten die portugiesischen Atlantikwellen fast unsere einzige Kamera mit sich gerissen“, berichtet Matze. Autopannen, korrupte Grenzbeamte, Drogenkontrollen, Camping ohne Rückzugsmöglichkeiten gehörten dazu. Lena erläutert: „Da sind auch mal Spannungen vorprogrammiert. Viele Teammitglieder sagen, dass diese Reise sie nachhaltig verändert hat.“
„You are Everything“ begeistert derzeit weltweit auf Filmfestivals. Die Suche nach einem Kino-Verleiher läuft. Eine spätere DVD/BluRay ist geplant.
Grégoire Gros (Georg)
Was war dein schönstes Erlebnis während des Drehs?
Auf dem vierten Festival habe ich zum ersten Mal getanzt. Allein auf dem Floor, drei bis vier Stunden unter freiem Himmel. Wie abgehoben. Dabei hatte ich nur ein Bier getrunken. Ich habe mich auf eine Ebene hochgetanzt, die ich so noch nicht erlebt habe. Dafür bin ich sehr dankbar.
Waren die Grenzkontrollen so schwierig wie im Film?
Die Grenzsituationen Richtung Balkan waren angespannt. In Griechenland wurden die Drogenkontrollen extrem. Ein Love-Mobil mit Hippies drin, die einen Film drehen: Das stand im Fokus der Grenzbeamten, die von den Festivals wussten.
Siehst Du etwas an den Goa-Festivals kritisch?
Kritisch wird es, wenn die Bewegung eher verkauft als gelebt wird und damit eine marktwirtschaftliche Lücke gefüllt wird, Eintritt und Zäune hoch sind. Es geht doch um den Geist, wo sich Leute treffen und etwas entsteht. Ich mochte das Miteinander, das es eher auf kleineren Festivals gab. Die Ozora hat diesen Balanceakt ebenfalls geschafft.
Adam Nümm (Dave)
Hattest du im Vorfeld Verbindungen in die Goa-Szene? Inwiefern? Warst du bereits vorher auf Psytrance Festivals?
Nein. Ich hatte mich zwar durchaus ausgiebig in Berlins Technoszene herumgetrieben, aber eine Goa Affinität war nicht vorhanden.
Wie bist du zu der Rolle als Dave gekommen?
Ganze einfach: Matze und Lena, die Filmemacher, haben mich angeschrieben. Sie hatten mein Demotape online gesehen und waren so auf mich gekommen. Unser erstes Treffen dann
im Görlitzer Park werde ich nicht vergessen: Sie sagten, sie hätten Bock, das Ganze mit mir durchzuziehen. Und ich sagte spontan: Ich bin dabei!
Konntest du dich mit Dave identifizieren? Seid ihr euch ähnlich?
Gute Frage! Ich würde sagen, ja durchaus. Was die Ungebundenheit angeht, lebt Dave lebt so ein bisschen einen Traum von mir – und das geht sicherlich vielen so. Die äußeren Lebensumstände haben für mich ein ganz anderes Leben ergeben. Ich arbeite ja nicht wie er als Weltenbummler, sondern relativ ortsgebunden als selbständig arbeitender Synchronschauspieler. Und das ist auch traumhaft! Und weil gemeinsame Träume ja bekanntlich das allerschönste sind, träume ich mit meiner Frau zusammen davon, eines Tages in unserem Bulli auf Festivals einen Sommer lang Spätzle zu verkaufen und zu feiern (lacht).
Auf der spieltechnischen Ebene habe ich Daves Figur durchaus an mir angelegt. Das schien mir für dieses Projekt (bei dem ja auch das Drehbuch durchaus improvisatorisch ausgelegt war) die beste Herangehensweise. Das funktioniert teilweise gut, teilweise war ich aber auch etwas unglücklich darüber, wie schroff die Figur an der ein oder anderen Stelle rüberkommt. Dave hat in der finalen Schnittfassung sicherlich Ecken und Kanten. Ob das letztlich zusammen passt, sympathisch oder unsympathisch wirkt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich selbst habe ja keine „Draufsicht“, hoffe aber, dass Dave alles in allem irgendwie „menschelt“.
Bist du auch im echten Leben DJ? Welche Musik legst du da auf? Oft auf so großen Festival-Bühnen wie im Film? War das echt oder nur gestellt?
Ja, ich bin auch im echten leben DJ. allerdings kein professioneller, will sagen ich lebe nicht davon. Ich lege mal hier und mal dort auf, das größte war bisher ein mit Freunden organisiertes Minifestival mit etwa 400 Teilnehmern. Ich lege alles mögliche auf. Sehr gerne Techno-Sets, das geht von Coma, Extrawelt, Siriusmo, ZZT bis hin zu etwas härteren Klängen à la Gesaffelstein (ich liebe Gesaffelstein!!!). Ich lege aber auch gern mal ein chilliges Queerbeet-Set auf mit Donna Summer und Konsorten, da bin ich flexibel.
Was die Dreharbeiten anging, ist das alles gestellt. Einige DJs haben uns dankenswerterweise ermöglicht, für die Dauer eines Tracks mal eben schnell zu „übernehmen“. Das war Stress pur, denn ich musste ja geschwind meine Hardware aufbauen usw. Aber das war positiver Stress und es war schon ein bisschen geil, dass wir das gerockt haben.
Hattest du Vorurteile gegenüber der Goa-Szene, die sich während der Dreharbeiten bestätigt haben oder abgebaut wurden?
Nein.
Habt ihr auch privat Party gemacht?
Ja, durchaus. Aber das war auch ein Streitpunkt und es wäre sicherlich einfacher und weniger belastend gewesen, das deutlich zu trennen. Letztlich war es aber auch der Charme des Ganzen, genau das nicht zu tun (lacht).
War immer alles cool oder gab es auch schwierige Momente? Hat etwas genervt?
JA, es gab viele schwierige Momente. Es war teilweise meine persönliche Hölle. Es gab wenig Rückzugsmöglichkeiten. Aber das schöne ist ja, dass das nun hinter uns liegt und wir uns gegenseitig auf die Schulter klopfen können!
Wir haben es durchgezogen und ich denke, dass die meisten im Kernteam an ihre persönliche Belastungsgrenze gegangen sind und darüber hinaus. Dass der Film jetzt fertig ist und auch
funktioniert, grenzt an ein kleines Wunder. Das ist um so schöner, weil es eben auch schwierig war.
Was war der spannendste/schönste Moment?
Es gab eine Situation, in der war ich morgens nach Sonnenaufgang mit dem Team am Strand verabredet. Die extrem wichtige Szene würde aber nur gedreht werden können, wenn wir ein paar Mädels zur Verfügung haben würden, weil wir diese für die Szene unbedingt brauchten! Ich wusste, dass es letzten Endes an mir hängen würde, diese Mädels für den Dreh „aufzureißen“,also spontan auf dem Festival zu überzeugen, dass Sie mitkommen und wir da dann am Strand mit Ihnen eine coole Szene für „dieses echt coole Filmprojekt“ drehen würden.
Das war sehr spannend, da hatte ich schon ‘nen verdammt hohen Puls, denn es war unglaublich schwierig diese Überzeugungsarbeit zu leisten! Ich habe echt alles gegeben, aber es schien immer wieder ein Ding der absoluten Unmöglichkeit. Versuch DU mal, ein paar feiernde (und sicherlich nicht nüchterne) Freggel-Mädels aus ihrem Feierkontext herauszubewegen mit der verlockenden Aussicht im Morgengrauen für mehrere Stunden einen bindenden und verantwortungsvollen Posten bei einem Filmset zu übernehmen. Viel Glück! Aber auch hier hat dann mal wieder in letzter Sekunde alles geklappt, danke an diese Stelle nochmal an die tolle Hilfe aus Italien!
Ein besonders schöner Moment war einer, der gar nichts mit dem Film selber zu tun hatte, letztlich aber natürlich doch irgendwie. Ich begegnete einem Menschen, dem ich zuvor schon einmal auf einem anderen Kontinent begegnet war und konnte etwas richtig stellen. Das hat gut getan und hat mich sehr beglückt, mir sicherlich auch wieder Kraft für den Film geschenkt, die ich dringend gebraucht habe.
Was ist für dich die wichtigste Botschaft des Films?
Esst mehr Champignons! (lacht) Naja, vielleicht eher: Mach dein Ding. Ich rechne es den Filmemachern hoch an, dass sie einen „positiven“ Film machen wollten. Keine Morde, keine bösen Handlungsmotive. Ich denke, dass dieser sehr verantwortungsvolle Umgang mit der Frage : „was erzähle ich?“ ganz entscheidend war und man kann das nicht genügend hervorheben.
Lust auf mehr? Wird man dich zukünftig auch privat auf Psytrance Festivals antreffen?
Das dürfte durchaus der Fall sein.
Und falls du wissen möchtest, was der Adam normalerweise für Musik hört, der sollte ihn mal auf Soundcloud besuchen.
Eva Kessler (Vera)
Gibt es Parallelen zwischen dir und der Figur Vera?
Veras sicheres Leben, ihr vorgefertigter Lebensweg mit klaren Wertvorstellungen, wird komplett auf den Kopf gestellt. Mich hat es nicht dazu gebracht, meinen Lebensweg zu verändern. Denn mit einem künstlerischen Lebensentwurf als Schauspielerin ist man eh schon in einer Außenseiterposition. Aber ich bin tatsächlich mit dieser Figur das erste Mal auf Goa-Festivals gefahren.
Was hat Dir an den Festivals gefallen?
Der kulturelle Mix ist begeisternd. Ich komme nicht aus einer Camping-Familie, eher aus einer Ferienhausfamilie. Ich fand es schön, drei Monate unter freiem Himmel zu schlafen und um 11 Uhr morgens in der Sonne zu tanzen statt nachts in stickigen Clubs, also Tagesabläufe nicht so zu leben, wie sie normalerweise angeboten werden.