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Beitrag von Hans Cousto (Eve & Rave Berlin)

Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft fand am 29. und 30. März 2007 das Treffen der nationalen Knotenpunkte der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) statt. Mehr als 90 Teilnehmer aus allen EU-Mitgliedstaaten besuchten die Reitox-Academy zum Thema ‘Wie wird in den EU-Mitgliedstaaten mit der Droge Cannabis umgegangen?’. Sie informierten sich über die aktuelle epidemiologische Situation des Cannabiskonsums sowie des Cannabismissbrauchs und der Abhängigkeit in Europa. Diskutiert wurden die unterschiedlichen Ansätze in der Prävention und vor allem die aktuellen Behandlungs- und Beratungsmöglichkeiten.

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing, hielt dort eine Rede, in der sie die wichtigsten Aspekte in Sachen Prävention – Drogenkompetenz, Drogenmündigkeit und Risikomanagement – aussparte. Zur Tagung der Reitox-Academy wurden nur Regierungsbeamte und Vertreter von Projekten und Institutionen, die auf Bundesebene gefördert werden, eingeladen. Regional geförderte Projekte und private Organisationen wurden nicht eingeladen und waren von der Teilnahme ausgeschlossen. Man zog es vor, im eigenen Saft zu schmoren und sich gegenseitig zu beweihräuchern.

So berichtete beispielsweise Peter Lang von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) über die Projekte ‘drugcom’ und ‘quit the shit’, für die die BZgA in Szenenmedien wie dem mushroom magazine oder dem Hanfjournal nicht selten ganzseitige Anzeigen schaltet. Sehr erfolgreich waren diese Projekte im letzten Jahr deswegen trotzdem nicht. Die Website www.drugcom.de verzeichnete mit 654.739 Besuchern im letzten Jahr einen Besucherrückgang im Vergleich zum Vorjahr (-4%). Im Vergleich dazu konnten beispielsweise die Drugscouts in Leipzig auf ihrer Website www.drugscouts.de im letzten Jahr mehr als doppelt so viele Besucher registrieren (1.403.437, +39% im Vergleich zum Vorjahr). Eve & Rave Schweiz zählte 1.008.062 Besucher (+65%) auf seiner Website www.eve-rave.ch. Eve & Rave Berlin stellte auf www.eve-rave.net eine Verdoppelung (+110%) der Besucherzahlen fest, das Projekt Drogengenusskultur in Berlin auf seiner Website www.drogenkult.net sogar eine Verdreifachung (+212%). Doch so erfolgreiche Projekte waren an der Reitox-Academy nicht präsent. Das Wissen aus der Zivilgesellschaft ist anscheinend für Lösungen eines europaweiten Problems nicht gefragt, dafür aber irreführende und von mangelhafter Kompetenz gekennzeichnete Ausführungen der Bundesdrogenbeauftragten Sabine Bätzing.

Irreführende Zahlenspiele
Die Drogenbeauftragte Sabine Bätzing erklärt immer wieder – ganz nach dem Vorbild ihrer Vorgängerin im Amt, Marion Caspers-Merk – dass der Bedarf an Beratung und Therapie bezüglich Cannabiskonsum in den letzten Jahren massiv angestiegen sei, gibt dabei jedoch nicht bekannt – genauso wie ihre Vorgängerin – wie groß der Anteil derjenigen ist, die aufgrund von Maßnahmen seitens der Polizei und/oder Justiz eine Beratung aufsuchen, also primär aufgrund der Prohibition und nicht aufgrund der Substanzwirkung. So sagte sie an der Reitox-Academy in Berlin: ‘Die Zahl der abhängigen Cannabiskonsumenten in Deutschland wird auf etwa 240.000 Personen geschätzt. In den Sucht- und Drogenberatungsstellen kommen zwar mehr und mehr Cannabiskonsumenten zur Beratung. Aber obwohl sich diese Zahl von 2001 bis 2005 mehr als verdoppelt hat, sind es pro Jahr nur knapp über 18.000 Personen. Was ist mit den anderen 220.000 Cannabisabhängigen? Wer sorgt für deren Gesundung? Wer kann für deren Behandlung sorgen?’ Von den geschätzten 12,4 Millionen Personen mit Cannabiserfahrung (Lebenszeitprävalenz) in Deutschland werden weniger als 2% (240.000) von der Drogenbeauftragten als ‘abhängig’ bezeichnet, von den geschätzten 3,8 Millionen aktuellen Konsumenten (12-Monats-Prävalenz) somit etwa 6%. Insgesamt begeben sich jährlich gemäß Sabine Bätzing etwa 18.000 Personen wegen Cannabis zu einer Beratung, das sind 0,15% von allen Personen mit Cannabiserfahrung respektive 0,47% der aktuellen Konsumenten. Verschwiegen hat die Drogenbeauftragte dabei, dass von den Personen, die eine Beratung aufsuchen, nur etwa 15% diese freiwillig aufsuchen und alle anderen auf Druck von Justiz, Polizei, Schule oder Elternhaus (Evaluierung Landschaftsverband Westfalen-Lippe Januar bis Juni 2006).

De facto begeben sich in Deutschland somit weniger als 3.000 Personen (genauer 2.700 Personen) aufgrund eines originären Cannabisproblems aus freien Stücken in eine Beratung, das sind 0,02% aller Personen mit Cannabiserfahrung respektive 0,07% aller aktuellen Konsumenten. Der Bedarf an Beratung scheint somit nach wie vor eher gering zu sein, auch wenn die Drogenbeauftragte stets (unter Weglassung wesentlicher Kriterien) versucht, mit Zahlenverhältnissen die Notwendigkeit des Ausbaus regierungsamtlicher Aktivitäten im Beratungsbereich zu untermauern.

Kein Beitrag zur Schadensminderung.
In den Bereichen, in denen es wirklich Informationsdefizite gibt und Maßnahmen zur Schadensminderung braucht, hat die Drogenbeauftragte nichts anzubieten, obwohl ihr die Probleme bekannt sind. In ihren Ausführungen zum ‘Gesundbrunnen’ sagte die Drogenbeauftragte an der Reitox-Academy: ‘Sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland scheint es bei den Dealern von Cannabis vermehrt üblich zu sein, den Profit zu erhöhen, indem allerei Mittel zum Strecken verwendet werden. Keineswegs nur unschädliche Mittel, anscheinend wird auch feinstes Glas oder äußerst ungesundes Plastik verwendet.’ Streckmittel in Cannabisprodukten können mittels qualitativer und quantitativer Analyse im Labor (Drug-Checking) erkannt werden und potentielle Konsumenten können vor dem Konsum besonders gesundheitsschädlicher Produkte gewarnt werden. Drug-Checking ist eine effiziente Strategie zur Schadensminderung und somit zur Erhaltung von Gesundheit. Doch um den ‘Gesundbrunnen’ Drug- Checking macht die Drogenbeauftragte einen großen Bogen und übergeht das Thema ‘Streckmittel’ ohne Lösungsvorschläge anzubieten. Aufgrund dieser Tatsache kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Drogenbeauftragten der Gesundheit von Cannabiskonsumenten keine große Bedeutung beimisst respektive, dass sie in diesem Zusammenhang eine gesundheitliche Schädigung der Cannabiskonsumenten billigend in Kauf nimmt. Jedenfalls verweigert sie sich hier einen konstruktiven Beitrag zur Schadensminderung respektive zum Risikomanagement zu leisten.

Zur Gefährlichkeit von Cannabis
Die neue Studie von David Nutt et. al. von der Universität Bristol (UK) zur Gefährlichkeit von Drogen ist der Drogenbeauftragten bekannt und sie zitierte Passagen aus derselben an der Reitox-Academy: ‘Wenn Sie den aktuellen, im März erschienenen LANCET-Artikel über die neue Rangliste der gefährlichen Drogen gelesen haben, dann wird man über die Bedeutung von Mischkonsum noch intensiver nachdenken müssen. Denn laut LANCET rangiert Alkohol auf Platz 5, Tabak auf Platz 9 und Cannabis auf Platz 11.’ Die Erkenntnis, dass Alkohol ein höheres Gefahrenpotential in sich birgt als Cannabis, ist allerdings nicht neu. So hatte bereits 1998 Bernard Roques in seinem Bericht für die französische Regierung festgestellt, dass Opioide (wie Heroin), Alkohol und Kokain eine sehr hohes, Ecstasy, Amphetamine, Benzodiazepine (wie Valium) und Tabak eine mittleres und Cannabis ein geringes Gefahrenpotential aufweisen. Und schon vor drei Jahrzehnten stellten die Professoren A. Uchtenhagen, P. Kielholz und D. Ladewig in ihrem Gutachten vom 29. Juni 1978 zur Frage der Gefährlichkeit des Haschisch- und Heroinkonsums zuhanden des Zürcher Obergerichts fest, dass der Konsum von Haschisch weniger risikoreich sei als der Konsum von Alkohol. Wörtlich heißt es in dem Gutachten: ‘Der Konsum von Haschisch birgt weder bei akuter Intoxikation noch bei längerdauerdem mäßigem Konsum ein deutliches Gesundheitsrisiko; erhebliche körperliche Schädigungen des Organismus sind selten, soweit das heute beurteilt werden kann. Haschischkonsum kann zu Toleranz und mäßiger psychischer Abhängigkeit führen, doch ist dieses Abhängigkeitspotential und die Fähigkeit, soziale und psychische Folgen zu verursachen, deutlich schwächer im Vergleich zu anderen Drogen wie Morphin/ Heroin, Amphetamin/Kokain, Alkohol/Barbiturate. (…)

Eine auf die Droge zurückzuführende erhebliche Gefahr des Umstiegs von Haschisch auf härtere Drogen ist nicht erwiesen.’ Auf die Bedeutung dieser Erkenntnisse für die Drogenpolitik in Deutschland gemäß Maßgabe des Bundesverfassungsgerichtes ist die Drogenbeauftragte nicht eingegangen. Der Beschluß des Bundesverfassungsgericht vom 9. März 1994, in welchem das Gericht das Cannabisverbot für rechtens erklärte, basierte auf der Annahme einer ‘potentiell gleich schädlichen’ Wirkung von Alkohol und Cannabis, wobei das Gericht den Gesetzgeber verpflichtete, die Auswirkungen des geltenden Rechts unter Einschluss der ausländischen Erfahrungen zu beobachten und zu überprüfen, um so die offene Diskussion über die vom Cannabiskonsum ausgehenden Gefahren zu klären. Das Bundesministerium für Gesundheit hat zwar in der Folge zwei Studien (Kleiber/Kovar, 1998; Kleiber/Soellner, 1998) in Auftrag gegeben, die beide dem Cannabis eine geringere Gefährlichkeit attestierten als dem Alkohol, doch wurden keine Konsequenzen aus den Ergebnissen gezogen. Wegen der Unterlassung der gesetzgeberischen Nachbesserungspflicht, die immer dann gegeben ist, wenn die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes deutlich erkennbar wird, ist der Gesetzgeber wegen seines Verhaltens zu rügen – und mit ihm die Drogenbeauftragte, weil sie zu diesem wichtigen Thema schweigt, ja, auch an der Reitox-Academy sagte sie kein Wort zu diesem rechtlich so wichtigen Thema in ihrer Rede. Sie stellte zur neuen Studie aus Bristol lediglich fest, dass gemäß deutschen Studien 57% aller Cannabiskonsumenten auch einen schädlichen Alkoholkonsum betreiben würden. Die Macher dieser Studien haben sich wohl nie in Kifferszenen aufgehalten, sonst wüssten sie, dass die meisten Kiffer deutlich weniger Alkohol trinken als der durchschnittliche Normalverbraucher!

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