Drogenmythen gibt es viele. Heute schauen wir uns die skurrilsten an und entlarven sie. Diesmal geht‘s um die lang gehegte Diskussion Natur vs. Chemie.
von Markus Berger
Ich nehme keine Chemie
Wenn dieses Thema aufkommt, fühlen sich viele von der Leidenschaft ergriffen. „Ich würde nie Chemie nehmen – in meine Pfeife kommen nur Pflanzen!“ So oder ähnlich kann man es auf so gut wie jedem Festival und jedem psychonautischen Gathering vernehmen. Und es nervt. Sogar ziemlich. Denn dies tatsächlich unverhohlen Dahergeplapperte ist lediglich der Beweis dafür, dass der entsprechende Zitatgeber keinerlei Ahnung hat von den Dingen und wie sie sich verhalten. „Mein Kind hat zwar mit einem bakteriellen Infekt zu kämpfen, aber Antibiotika würde ich ihm nie geben. Das ist doch Chemie, mein Kind bekommt nur Naturstoffe!“ Solche Sprüche kommen ebenfalls immer und immer wieder. Von Unwissenden, die sich mit derartigen Aussagen selber für die Diskussion disqualifizieren.
Natur vs. Chemie
Fangen wir mal von vorne an: Es gibt keinen Unterschied zwischen „Natur“ und „Chemie“. Chemie IST nämlich Natur, comprende? Zu Deutsch: Was da in den Pflanzen wirkt, deren Inhaltsstoffe nämlich, IST Chemie – und zwar par excellence. Die pflanzlichen Wirkstoffe sind chemische Verbindungen, und daran ist überhaupt nichts Schlechtes. Denn auch unser Körper funktioniert nur mit dieser Chemie, auch wenn manche sich jetzt eventuell schütteln müssen. Es ist die Realität.
Synthetische Substanzen
Was die vermeintlichen Ökofreaks in Wirklichkeit meinen, sind synthetische Substanzen. Die bestehen – oh Wunder – auch aus Chemie, kommen aber in vielen Fällen in der Natur so nicht vor. Doch selbst das ist noch keine Abgrenzung, mit deren Hilfe man die Moleküle in „gut“ und „böse“ einteilen kann. Denn so mancher Synthesestoff wurde zunächst im Labor „erfunden“ und später in Pflanzen, Pilzen, Tieren oder Menschen (oder in allen) als Naturstoff nachgewiesen (siehe Box rechts).
Auch aus der Natur: Antibiotika
Und auch mit den gefürchteten und gleichsam verhassten Antibiotika verhält es sich anders, als viele glauben mögen. Denn selbst die gehören in ihrer ursprünglichen Form zu den Naturstoffen. Das Penicillin war einstmals aus dem Schimmelpilz Penicillium isoliert worden, nachdem ein Militärarzt entdeckt hatte, dass der Stoff Bakterien tötende Wirkung aufweist. Sicher ist es nicht zuträglich, seinen Kindern oder sich selbst pausenlos und bei jedem Zipperlein Antibiotika zu verabreichen. Wer aber ernsthaft an einem bakteriellen Infekt erkrankt ist und auf die Hilfe dieses Pharmakons verzichtet, tut sich im Zweifel gar nichts Gutes. Bei aller Gefährlichkeit von solchen Infekten, die durchaus auch ernsthafte bis lebensbedrohliche Herz-Kreislaufbeschwerden herbeiführen können, muss es als unterlassene Hilfeleistung betrachtet werden, wenn Eltern ihren Kindern das Antibiotikum vorenthalten, weil sie ja ach so freaky-bio sind.
Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass es zwei Substanzen gibt, die einst als Synthesepharmaka schlechthin galten: nämlich das Dimethyltryptamin (N,N-DMT) und das Beruhigungsmittel Diazepam (ein sogenanntes Benzodiazepin), besser bekannt unter seinem wetweit bekannten Markennamen Valium. Beide Stoffe wurden zuerst im Labor als Synthesestoffe designt – und später von Forschern als Naturstoffe entdeckt! Was für eine Sensation! Synthesemoleküle in der Natur! DMT, eines der stärksten Psychedelika, die dem Menschen bisher entdeckt sind (neben dem engstens verwandten 5-Methoxy-DMT und dem bislang nur als Synthetikum bekannten Ketamin), kommt dabei nicht nur in unzähligen Pflanzen vor, sondern als körpereigene Substanz, eventuell sogar als Botenstoff in Menschen und Tieren! Und auch das Valium – Mothers little Helpers – ist ein Naturstoff, der zum Beispiel im Reis, im Mais und in der Kartoffel nachweisbar ist, wenn dort auch nur in Spuren. Es wird also Zeit, die Scheuklappen abzulegen.