Die Psytrance Szene stellt sich gerne als besonders fortschrittlich und aufgeklärt dar. Aber ein Blick auf das Lineup einer Party oder eines Festivals offenbart: So anders als die Gesamtgesellschaft ist sie dann doch nicht. Denn Frauen sind im Bereich DJ / Liveact immer noch deutlich unterrepräsentiert. Auf der einen oder anderen Afterhour ist immer wieder eine kontroverse These zu hören:
“Der einzige Grund, warum Veranstalter weibliche DJs buchen, ist damit die Jungs was zum Gucken haben.”
DJ Gaby (Slovenia)
“Das ist natürlich eine sehr engstirnige Auslegung… obwohl ich nicht 100% aller Veranstalter weltweit ausschließen kann. Persönlich bin ich viel zu stolz als Frau, um mich nur durch mein Aussehen zu verkaufen. Ich kann natürlich nicht für alle DJanes sprechen. Wenn jemand mit diesem Weg klar kommt… es ist ihre freie Entscheidung. Mein Weg fing schon vor 25 Jahren an. Damals waren weibliche DJs noch echt selten. Und eigentlich war es genau umgekehrt, als weibliche DJane bekam ich von allen besonders viel Druck. Ich musst mich und was ich tue beweisen, sogar noch mehr als die Jungs damals. Wie gesagt, ich habe eine starke Persönlichkeit und ich habe hart gearbeitet, um dahin zu kommen, wo ich heute bin – mir ist sicherlich nichts in den Schoss gefallen, ich habe durch meine Taten gesprochen. Und damit bin ich natürlich sehr glücklich. Ich erinnere mich an ein paar Nächte, in denen ich vielleicht sogar ein bisschen besser gerockt habe als die männlichen Kollegen und die haben sich dann abgewandt, anstatt mit mir zu feiern und den Moment zu genießen. Aber was soll’s. Ein paar Mal habe ich auch nur mit Frauen aufgelegt, und das war klasse… Wir hatten eine schwesterliche Verbindung und alles lief sehr glatt und mit guten Vibes. Hübsche Frauen an den Reglern wissen, was sie tun, sie können eine Tanze zum Kochen bringen und werden nicht nur aufgrund ihres Aussehens gebucht.”
Anneli (Sweden)
“6 Sätze – Vollidiot zu weiblichen DJ´s”
“Ich buch dich. Leute lieben Mädels an den Decks!”
Manchmal läuft dir ein männlicher Veranstalter über den Weg, den es wirklich einen Scheiß interessiert, wie du auflegst, oder sogar wie du aussiehst. Für sie bist du einfach ein exotisches Objekt, sie buchen deine Titten. Je mehr davon, desto besser (“vier Titten sind besser als zwei”), deshalb buchen sie besonders gerne ein DJ Duo oder eine sogar noch größere Gruppe.
Aus offensichtlichen Gründen eine eklige Ansage. Aber auch irgendwie lustig, denn man steht ja in aller Regel hinter einem Tisch und die Leute sehen nicht, was man da unten anhat oder nicht anhat.
“Ich veranstalte ‘ne Ladies Night. Willste auflegen?”
Wenn du gerade angefangen hast, mag das eine willkommene Möglichkeit sein, mal auf der Bühne zu stehen. Aber wenn du schon ein paar Jahre Erfahrung hast, ist es einfach nur beleidigend. Ist ein weiblicher DJ nicht gut genug, um mit den Jungs zu spielen – oder heißen alle anderen Partys “Boys Night”…?
“Du bist eine meiner drei Lieblings-DJanes.”
Toll, aber warum nicht einer deiner Lieblings-DJs im Allgemeinen?
“Hat dein Freund dir eine CD gemixt oder die Tracks rausgesucht??”
Als könnten nur Männer auflegen. Und wenn eine Frau mal einen echt ausgefallenen und vielseitigen Musikgeschmack hat, wird im Hintergrund gerne ein männlicher Musik-Nerd vermutet.
“Komm, ich zeig dir wie man den Mixer anschließt.”
Lächerliches bevormunden, insbesondere wenn man für die Veranstaltung gebucht wurde um ein Set zu spielen.
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Kimie (Hamburg / Germany)
“Da ich mich, seit ich Musik mache, fast ausschließlich unter Jungs bewege und mich immer schon behaupten musste, lasse ich mich sowieso ungern in diese „Djane Ecke“ stellen. Ich nehme mich viel eher als DJ wahr, der sich durch Leistung und Performance definiert. Und vor allem durch die Emotionen, die zwischen mir und den Menschen, die zu meinem Set tanzen, hin und her fließen. Da ist es doch eigentlich egal, ob es ein männlicher oder weiblicher DJ ist, es geht darum, ob man die Crowd zum Rocken bringt – so einfach ist das. Und selbst wenn das Geschlecht manchmal die Eintrittskarte ist, sind das aber auch die besten Momente, wenn man dann das erste Mal auf so eine Party kommt und lauter und durchsetzungsfähiger ist als so mancher männlicher Kollege – und dann dermaßen abliefert, dass man gerne wieder gebucht wird. Am Ende zählt einfach immer die Stimme der Leute, die gerne zu deinem Set tanzen. Ich weiß, dass es einige männliche Kollegen gibt, die es meinem weiblichen Wesen zuschreiben, dass ich auf großen Festivals und Partys auflege, aber so etwas lasse ich gar nicht an mich ran kommen, da ich weiß, was ich kann. Man muss, vor allem als Frau, schon ein dickes Fell haben und einen langen Atem mitbringen, oft haben wir es meiner Meinung nach noch viel schwerer überhaupt auf ein Line Up zu kommen. Es wäre schön, wenn noch viel mehr Frauen anfangen würden aufzulegen, damit es nicht die Ausnahme bleibt, einen weiblichen Namen auf dem Line Up zu lesen.”
DJ Melburn (Hamburg / Germany)
“Also werden auch alle männlichen Kollegen nur für uns Girls gebucht? Was für ein Blödsinn! Ich glaube, dass es am Ende des Tages einfach nur wichtig ist, welche Energie man mit dem Dancefloor austauscht, und da ist das Geschlecht dann völlig egal! Habe aber schon des öfteren das Feedback bekommen, dass wir Mädels mehr Gefühl in unsere Sets einbringen… Ich finde oftmals allerdings auch selber, dass wenn ich auf dem Floor stehe, meine lieben Kolleginnen weniger „posen“ als meine lieben Kollegen…grins ….Fakt ist, wichtig ist, dass die Tanzenden auf ihre Kosten kommen, allen kann man es leider eh nicht recht machen!”
DJoanna (Waldfrieden / Germany)
“Es gibt definitiv Booker die weibliche Acts buchen, weil sie weiblich sind. Aber auf Psytrance Events geht es um Musik und Tanzen und nicht um Flirten und Sex. Hier kommt kein Act nur mit gutem Aussehen weiter und aus dem Grund kann kein erfolgreicher weiblicher Act auf Optik und Weiblichkeit reduziert werden. Und so erlebe ich es auch nicht. Es kam zwar auch schon vor, dass mir jemand kurz vor dem Auftritt noch schnell erklären wollte, wie man die Technik bedient, oder das die erste Reihe mehr mit Gaffen und Fotografieren als mit Tanzen beschäftigt war, aber das passiert zum Glück extrem selten und wenn, dann auch eher ausserhalb Europas. Meinen Erfahrungen nach sind weibliche Acts wirklich nur anzahlmäßig den männlichen unterlegen. Wir werden aber deshalb weder besser noch schlechter behandelt. Weibliche Acts untereinander erlebe ich sehr solidarisch und weniger in Konkurrenz stehend als männliche Acts.”
Psibindi (Psysisters / UK)
“Das ist eine provokante Aussage. Man könnte auch soweit gehen, dass weibliche Veranstalter männliche DJs nur buchen, damit die Mädels was zu gucken haben! In den 10 Jahren meiner musikalischen Laufbahn habe ich mit guten Veranstaltern gearbeitet, die mich nur wegen meiner Musik gebucht haben. Vor 5 Jahren habe ich mit ein paar befreundeten Auflegerinnen das Kollektiv Psy-Sisters gegründet. Wir haben weibliche DJs gefördert, weil damals deutlich weniger Frauen als DJs und Produzenten unterwegs waren. Indem wir diese Plattform geschaffen haben, haben wir mehr Frauen den Mut gegeben, an die Decks zu treten. Frauen sollten Veranstalter nicht dazu drängen sie zu buchen, bloß weil sie Frauen sind. Deshalb haben wir nicht Psy-Sisters gegründet und wir haben diese Einstellung nie gefördert. Aufgrund deines Talents gebucht zu werden ist viel erfüllender als alles andere. Ich bin meinen männlichen Kollegen sehr dankbar, die mir das Auflegen und Produzieren beigebracht haben. Ich denke, letztendlich wollen die Veranstalter hochwertige Musik und hochwertige Künstler auf ihren Partys, und genau das will die Meute auf der Tanzfläche.”
Alpha (interzone.pa / Germany, artist, party organizer…)
2000 veranstaltete ich in Hamburg das „Female Spring Awakening“, ein reines Frauen-Line-Up mit der damals sehr bekannten Miranda (Schweden) und weiteren wie U.F.ORIA, Constanze Journey, Sally Doolally, Miss Visitor und sogar einem Alternativ-Floor mit Masha, La Niña & AnneJoy in einer sehr angesagten Location in der Harkortstrasse. Musikalisch und kommerziell war es ein voller Erfolg. Ziemlich ätzend waren die männlichen Besucher, die sich Dicke-Hose-mäßig aufbauten und mit chauvinistischen Sprüchen um sich warfen. Die Frauen ließen sich davon überhaupt nicht beeindrucken und wurden z.B. von Miranda soundmäßig mitten in die Weichteile getreten, denn sie spielte damals recht flotte Mucke.
Um den politischen bzw. gesellschaftlichen Zusammenhang herzustellen, fanden die Veranstaltungen immer um den 8. März herum statt, dem Internationalen Frauentag. Bis heute habe ich den Eindruck, daß nur wenige männliche Menschen das begriffen. Nach zwei weiteren Jahren mit weiterhin hohen Qualitätsprogrammen, aber stetig abnehmenden Besucherzahlen, machte ich eine Pause. Gleichzeitig nahm ich wahr, daß andere Veranstalter sogenannte Amazonen-Parties machten. Z.T. in den Städten, woher „meine“ Frauen kamen (Inspiration) und z.T. als Zusatz-Floor mit „Zeitgeist“-Effekt. Wie die sogenannten „Dark-Floors“ bei Veranstaltungen heute. Also der Versuch der kommerziellen Ausnutzung. Zwiespältige Nummer das Ganze.
Im Rahmen der Jalanda-Parties in Bremen haben wir das Konzept wiederbelebt (2004-2006), allerdings mit nur 50% Djanes. Tolle Frauen wie Gaby (Slowenien), Alice-D, D-Way, DJoanna, Tante Lotte uvm. spielten sich in die Herzen der BesucherInnen, die überwiegend sehr aufgeklärt ´rüberkamen.
Wenige Wochen später gab es in Hamburg nochmal eine größere Zwei-Floor-Party als „Amazone – The International Comeback“, mit den Künstlerinnen Orsi (Ungarn), Miss Nic, Morgana, Gutemine, Rakete, Miss Napalm, Anais (Brasilien) uvm., dazu Deko von den Frauen der The Frogz (UK, Spanien) und es war ein Riesenflopp.
Was lernen wir? Nüscht. Nicht nur die Female Revolution ist nötig bis überfällig – und findet nicht statt. Bisher.