Titelbild: Ein Teil der mushroom Crew damals (2000)
Es war ein ganz bunter Pilz – ein psychedelischer Pilz.
Ein Pilz, der den Partyfreaks 25 Jahre lang Freude machte.
Was 1994 als gefaltete Kopie für eine Partyreihe in der norddeutschen Provinz begann, entwickelte sich über die Jahre zum internationalen Psytrance Guide mit weltweiter Verbreitung – kostenlos verteilt und von vielen Organisationen der Psytrance Community unterstützt.
Es waren seitdem 25 intensive Jahre. Viel ist passiert, viel wurde geschrieben, aber es kam nicht alles in die Öffentlichkeit und nur selten kamen die Macher zu Wort.
Heute reden Mat Mushroom und die Redakteure der bewegenden mushroom Vergangenheit, die das Heft oft lange Jahre begleitet haben. Heute erfahrt Ihr die Wahrheiten, die wir oft verschweigen mussten.
Mat:
Stellvertretend haben wir uns hier mit ein paar langjährigen Shroomies zu einem Gespräch am 25.Jahrestag des mushroom magazines zusammengefunden, um die guten alten Zeiten noch einmal Revue passieren zu lassen. Da früher sowieso immer alles besser war und wir immer älter werden, freue ich mich auf die alten Geschichten, Erlebnisse und Anekdoten.
Liese, als ich 1998 mit dem mushroom nach Hamburg kam und Unterstützung suchte, standest Du auf einmal ganz in orange (später in rot) da und begleitest das mushroom magazine mit Pausen noch bis heute – damals im Verkauf und im trance store, dann aber auch redaktionell, als Außenminister, selbsternannter spiritueller Berater und Langobarde sowie im Social Media Bereich.
Kai, ich bin auch heute immer noch dankbar, dass es auf dieser kleinen Open Air in der Lüneburger Heide Mitte der 90er in Strömen regnete und wir uns im Chaishop begegneten. Deine Fotokunst und ausdrucksstarken zielsicheren Artikel machten damals den mushroom zu dem, was er war. Du warst die Speerspitze des psychedelischen Journalismus, besonders in den Hochzeiten des Magazines.
Manjula, auch Dir möchte ich für Deine Arbeit gerade in den letzten Jahren danken – für all die Ideen, die Du in das mushroom Projekt eingebracht hast und für die unermüdliche Arbeit gerade mit den Festivalveranstaltern und deren Promotion im Heft. Nun, genau aufgrund der Zusammenarbeit mit unseren Festival Partnern ist das Heft ja für die Leser kostenlos.
Last but not least freue ich mich, dass Du Roberdo, die redaktionelle Arbeit für das mushroom magazine in einer schweren Zeit übernommen und bis zum finalen Ende durchgezogen hast. All das auf einem hohen professionellen Level.
Roberdo, hatte eigentlich unser großes Preisausschreiben etwas damit zu tun, bei dem Du den ersten Preis belegt hattest für die Einsendung des besten Festivalkonzepts?
Roberdo:
Absolut! Das ist allerdings schon fast 20 Jahre her, diese Geschichte mit dem Preisausschreiben. Weihnachten 1999. Das imaginäre Festival-Konzept, mit dem ich tatsächlich den ersten Platz belegte, war mein erster Text, der in der Psytrance Szene veröffentlicht wurde. Außerdem gewann ich einen DJ-CD Player, den ich mir damals nie hätte leisten können. Beides hat meine Lebensgeschichte entscheidend geprägt, das Schreiben und das Auflegen. Im Laufe dieser Geschichte kam ich dann vor mehr als 10 Jahren als Redakteur zum mushroom.
Rückblickend stimme ich dir vollkommen zu, Mat. Ich bin als vollberuflicher Musikjournalist eingestiegen, als die schwierigen Zeiten gerade losgingen. Es gab immer weniger Labels, die noch Geld für Anzeigen hatten, MP3 und MySpace waren große Themen, immer mehr Szene-Akteure waren immer besorgter und bemühter um ihr Bild in der Öffentlichkeit… Ich will jetzt gar nicht all zu tief einsteigen, aber das Tagesgeschäft wurde definitiv von Jahr zu Jahr härter. Und für einen Journalisten frustrierender. Ich habe in dieser Zeit bewundert wie du trotzdem durchgehalten hast, Mat. Flucht nach vorne. Es ist dir sicher nicht gerade leicht gefallen, das Handtuch letztendlich doch zu werfen?
Mat:
Ich sehe die ganze Entwicklung irgendwie mit einem lachendem, einem weinenden und einem sarkastischen Auge. Aber der Reihe nach.
Der mushroom hatte sich damals aus der Notwendigkeit der Kommunikation in der Szene vom Techno zum Psytrance Magazin gewandelt und war nach dem Techno/Psytrance Switch beachtlich erfolgreich. In den 90ern gab es das Internet nur für wenige Nerds und auch die Musik war noch nicht reproduzierbar. Dieser Zustand förderte natürlich Szenemagazine wie den mushroom.
Mit dem Aufkommen der Musik-Tauschbörsen waren die Downloads zwar illegal, aber for free. Damals wichtige Labels wie Spirit Zone oder Blue Room verschwanden mit der Pleite der Distributoren EFA, Flying UK und dann auch Cosmophilia in der Versenkung. Dies zog den mushroom damals ziemlich herunter, denn die Finanzierung des ja kostenlos vertriebenen Magazines war durch das Labelsterben bereits damals gefährdet. Aus einem ambitionierten Musikjournalismus der damaligen Zeit, inklusive der so wunderbaren Musik Reviews und Artikel von Kai Mathesdorf sowie den coolen Interviews von Alpha, wurde im Laufe der folgenden Jahre leider immer mehr ein Promotion-Heft mit bezahlten Artikeln und wenig Seele, da wir diese den Kunden vorlegen mussten. Oft wurden die interessantesten Passagen weggeschnitten und es wurde sich aufgeregt, wieso wir beispielsweise schreiben können, dass in Deutschland das Wetter auch mal schlecht sein kann. Dies wäre ja negativ für die Festival Ticketverkäufe. Als es dann los ging, dass Labels Ihre Promo CD- und Vinyl-Lieferungen einstellten, da wir ihnen diesen von uns finanzierten Platz im Heft nicht mehr gaben, stampfte ich die Review Sektion komplett ein. We Are One? Irgendwie nicht… oder nicht mehr.
Über die kommenden Jahre haben wir aber immer wieder Möglichkeiten gefunden, wenigstens einen Teil des freien Journalismus zu erhalten und uns für das Internet zu öffnen; immer in der Hoffnung dass da doch noch Festivals, Labels oder Artists in der Community sein müssten, die dem WE ARE ONE Mantra folgen würden. Gerade in den letzten Jahren hat sich aber die Kommunikation der Szene Organisationen sehr stark in Richtung Social Media entwickelt, dass der mushroom immer mehr zum Bittsteller wurde, um das Heft auf’s Neue zu finanzieren statt ein Magazin und freakiger Dienstleister aus der Szene zu sein, der eine wichtige Mission für die Community erfüllt.
Über eine vernünftige Exit Strategie für den mushroom dachte ich deswegen schon seit einiger Zeit nach. Es sollte nicht abrupt im Chaos enden, denn es gab schließlich so einige Jahresverträge mit unseren Kunden, die man nicht so einfach an die Wand fahren konnte. So setzte ich im letzten Sommer den Termin auf Mai/Juni 2019 fest, um einerseits alle Verträge zu erfüllen und andererseits 25 Jahre mushroom voll machen zu können. Ein Vierteljahrhundert sollte es dann doch schon noch sein – außerdem war längst noch nicht alles geschrieben, was es noch zu sagen gäbe 😉
Roberdo:
Das große Label-Sterben und der damit zusammenhängende Sinkflug des Musikjournalismus… da möchte ich nochmal einsteigen. Ich erinnere mich an eine hitzige Diskussion mit meinem guten Freund Sam, der damals das Onlinemagazin Chaishop.com machte, wo ich gerade als Chefredakteur angeheuert worden war. Ich hatte in einem Review die “Techno” Compilation eines mexikanischen Labels zerrissen, weil sie gewollt und nicht gekonnt war. Da war der Labelmacher natürlich sauer – und auch Sam war nicht ganz cool damit, denn dieser Labelmacher war halt einer der weniger werdenden Anzeigenkunden. Das ist schon deutlich über 10 Jahre her, es war für mich damals eine wichtige Lektion in Sachen “Preis von ehrlichem Journalismus”. Kai, du hattest dieses Problem nicht wirklich, oder? Ich habe deine sehr ehrlichen und teilweise wunderbar bissigen Plattenkritiken im “Acid Test” als junger DJ immer sehr gerne gelesen.
Kai:
‘Kritiken’, zu welchem Inhalt auch immer, sind ein komisches Ding. Man erlaubt sich, einen kreativen Prozess eines anderen zu beurteilen. Jedoch: es gibt definitiv ‘gute’ als auch ‘schlechte’ Musik, wobei der Grad der Akzeptanz, also der kommerzielle Erfolg, nicht unbedingt auf Qualität schließen lässt. Dies gilt sowohl im Verhältnis von Pop- zu Underground-Musik, als auch im Bereich von Underground-Musik an sich. Dazu kommt der persönliche Geschmack, den man als Rezensent natürlich ausblenden sollte, oder besser: muss. Ich fand viele Platten empfehlenswert, großartig und auch brilliant, obwohl ich sie persönlich nicht gemocht habe. Prinzipiell ist es schwierig, über Musik zu schreiben, die der Leser im Moment des Lesens nicht hören kann. Also muss zumindest das Lesen an sich interessant und unterhaltsam sein. Die Musikkritik muss eine eigene Art fast literarischer Kunstform werden, um gelesen zu werden und Interesse für die besprochene Musik zu kreieren. Ich erfuhr sehr viel Wohlwollen von meinem Redaktions-Team; es wurde nur eine einzige meiner Rezensionen kastriert. In Bezug auf ein voll verunglücktes Deedrah/Dado Album schrieb ich einmal etwas von “ibizenkischer Dickstrahlpisse”, was mein Redaktions-Adjudant Claus zu verhindern wusste. Ansonsten war ich komplett frei. Als es mehr und mehr um Werbekunden und schließlich um bezahlten Rezensionsplatz ging, musste ich es lassen. Meine Meinung kann man nicht kaufen. Ich bin sehr dankbar für die 12 Jahre, in denen ich dabei war. Ich kannte nahezu jedes veröffentlichte Stück Psy-Trance aus jenen Jahren und habe wirklich inhaltlich interessante Eye-to-Eye-Interviews führen können, die über teilweise über 5 Seiten gedruckt wurden. Und wir hatten gute Partys und Touren zusammen.
Roberdo:
Stichwort ‘Gute Partys’: Wann war die Hochzeit des mushroom? Wann hat es am meisten Spaß gemacht?
Mat:
Als ich 1998 mit dem Magazin Projekt nach Hamburg zog, war die ganze Region inklusive mir selbst in psychedelischer Aufbruchstimmung und die Partys waren einfach nur genial. Viele Leute kamen von weit her, um beispielsweise im Hamburger Gaswerk zu feiern. Die Community formte sich und viele Freaks wollten einfach etwas beitragen, um Ihren Platz in der Szene zu finden.
Im Januar 2000 eröffneten wir in Hamburg Ottensen den mushroom trance store. Dies war für mich definitiv eines der Highlights, denn mit seinem Blacklight Konzept sah es hier aus wie auf einer perfekt dekorierten Goa Party. Wir luden eine Zeit lang monatlich wechselnde Dekokünstler ein, die ihre Bilder und Objekte im Shop ausstellen konnten und gaben Ihnen dafür die Titelstory im mushroom magazine. Die Musik über die im Heft geschrieben wurde, boten wir im Shop an. Das ging dann halt so lange gut, bis das Internet für alle da war und wir aufgrund der schon beschriebenen Labelkrise den damaligen Shop schließen mussten. Eine Online Shop Strategie gabs damals leider nicht.
Auch an unsere beiden mushroom Open Airs im Sommer 2000 und 2003 denke ich gerne zurück, sowie an die Free Spirit Room Party, die wir im Februar 1999 zusammen mit Sprit Zone Records und Free Form im Gaswerk veranstalteten.
Liese:
Es war ne geile Zeit – Vom Anfang bis Ende. Wenn Musik und Party zu deinem Lebensinhalt wird und du deine Rechnungen davon bezahlen kannst, dann hast du einfach das Gefühl alles richtig gemacht zu haben. Aber Hochzeit? In all den Jahren, in denen ich das ganze aktiv oder mehr von außen betrachte, war es doch immer auch ein Tanz am Abgrund und unsere Zufriedenheit hatte viel damit zu tun, dass wir eher idealistische, denn materielle Ziele verfolgten. Jeden Cent, den wir verdient haben, haben wir irgendwie auch wieder in das Heft gesteckt. Lieber mehr Seiten drucken als Rolls Royce fahren. Die in meiner Zeit fettesten Hefte gab es 2003/2004 und es war ein geiles Gefühl mit 128 Seiten an die Grenzen des Machbaren zu stoßen und zu erleben, dass die Klammern die Mittelseite nur noch schwer im Heft halten.
Mat:
Klar Liese, Du hast recht. Der Tanz am Abgrund war immer da. Aber zum Glück bleiben eher die schönen Sachen hängen und die dunklen verblassen.
Kai:
Ich konnte meine Rechnungen davon nicht bezahlen und habe trotzdem das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben. Die Jahre, als Mat 1995/96 den mushroom von einem Techno- in ein Psy-Trance-Magazin gedreht hat, war eine heisse Zeit. Heute zieht man auf dem Mainfloor Lines vom Smartphone, früher war jedes bezeugende Gerät, insbesondere Kameras, auf Partys extrem verboten. Sehr gern erinnere ich mich an einen 10-Tages Lowest-Budget-Trip mit Mat nach London, wo wir all die coolen Label besuchten und zudem eine POF- und eine Spirit Zone Party. Antaro war mit seinem neuen Wohnmobil vor Ort, und ich versenkte ein wildfremdes, abgegessenes Kaugummi, das sich zuvor in dunkler Nacht an meine Kamera-Tasche verklebt hatte, im unendlichen Weich seines Velourbezuges. Das war eine geile Tour, Raja Ram war damals noch ein nur leicht älterer Herr, Blue Room drehte am Rad der Zeit, alles war frisch und aufregend. Das, was wir damals erlebt haben, wollten wir teilen – mit dem mushroom magazine. Die beste Zeit des mushrooms war sicher die um den ersten ‘intershroom’ herum, als die Nachfrage nach unseren Informationen weltweit so gross wurde, dass wir endlich auch Englisch drucken mussten.
Manjula:
Meine Zeit im mushroom headquarter ging erst spät los. Was nicht heißt, dass mir dieses kleine Heftchen unbekannt war. Ich glaube, meine erste Begegnung mit dem magazine war auf der VooV 96 in Besdorf. Ich wohnte noch in Nordhorn, Hamburg und die Szene war weit weg. Es war toll, Partys von Gleichgesinnten für Gleichgesinnte zu finden und Infos zu neuesten Releases und die Musiker über Interviews etc. kennenzulernen. 1998 zog ich nach Hamburg und ab Mai 2015 hatte ich einen Schreibtisch im mushroom office. Für mich hatte sich der Kreis geschlossen. Es war schnell klar, dass ein alternativer Non-Profit-Verlag wie das mushroom magazine neue Vertriebskanäle und Ideen brauchte. Mat und ich haben viele Stunden mit Brainstorming verbracht, neue Kundenkreise, Fashion Special, Trancers Guide ins Sommerheft integriert und wir haben die mushroom on tour-Events re-aktiviert, in jedem Fall mein persönliches Lieblingsprojekt. Die Ausgaben Juni 2016 sowie Juni 2017 waren 128 Seiten stark, alle anderen in dieser Zeit waren mit 96 Seiten auch prall, informativ und einfach klasse. Herzblut und Liebe zur Musik und Szene reicht aber nicht, um einen Verlag am Leben zu halten. Irgendwann musste ich meine rosarote Brille abnehmen und die Worte eines der großen europäischen Veranstalter: oh dear – you are so old school, nobody wants that paperwork anymore… the world is digital’ waren nachhaltig. Es war enorm schwierig, in täglichen Telefonaten dies oder ähnliches zu hören. Trotz allem, es war ein glückliche Zeit (fast immer ‘grins’ ) Ich habe enorm viel gelernt in den letzten Jahren, über die Szene, über Musik, durfte viele DJ’s und Veranstalter kennenlernen und weiß nun auch wie hart umkämpft diese / unsere Psytrance / Electronic Music Welt ist. It’s a big business und ne rosarote Brille passt da nicht hin.
Mat:
Klar, der große europäische Veranstalter hat ja recht, dass die Welt sich mittlerweile online abspielt. Deswegen haben wir ja auch den mushroom exit (MEXIT) gewählt. Ich hätte mir jedoch gewünscht, dass die Zusammenarbeit in all den Jahren besser gewesen wäre. Schließlich haben wir eine Menge für die Szene geleistet. Aber hey, so wissen wir wenigstens am Ende des Tages, wer unsere Freunde sind und waren.
Roberdo:
Musiktausch im Internet war in vielerlei Hinsicht ein ganz großer Gamechanger. Wie hast du das Aufkommen und die Konsequenzen von Breitband-Internet und MP3 damals empfunden?
Kai:
Zu den ‘guten alten Zeiten’ wurden DATs von einem wohletablierten kleinen Kreis von DAT-DJs aufgelegt, die Musik untereinander tauschten. CDs oder auch Mini-Discs – die erste erfolgreiche Umsetzung von MP3 – waren schon durch die geringeren Abtastraten klanglich tatsächlich unterlegen. Wollte man mit CDs auflegen, musste man eigene Player mitbringen und wurde seinerzeit belächelt. Irgendwann wollten die Lächler dann aber auch mal mixen, und so spielten schließlich alle DJs CDs. Und der bessere Sound war plötzlich gar nicht mehr soo wichtig. Als ich mir 1997 den ‘500s’, den ersten kleinen und transportablen CD-Player von Pioneer für wahnsinnig viel Geld gekauft hatte und glücklich war, kein Vinyl mehr zu schleppen, sagte Mat zu mir, es wird die Zeit kommen, in der der DJ nur eine Check-Karte mitbringt, die er kurz durchswipt, um seine komplette Musik zur Verfügung zu haben. Mit USB-Sticks sind wir inzwischen schon fast dort angekommen. Mein Freund Ole studierte Ende der 90er Jahre Tontechnik auf einer SAE in Berlin. Er hat mir erzählt, wie böse MP3s sind. Ich hatte gerade ein Album von Shakta auf Dragonfly bekommen und gab ihm eine 1:1 Wav Kopie auf CD-R, und dazu eine CD-R mit der gleichen Musik, auf 128 reduziert und zurückgeblasen auf Audio Format, die CDs sahen also genau gleich aus. Nun, Ole hatte immerhin Blue Room Speaker und Sennheiser HD25 Headphones und – fand die MP3 CD sogar besser, weil mehr aufgeräumt und weniger trashig. Es geht nicht um den in allen Frequenzbereichen technisch maximal möglichen Lautstärkepegel. Es geht um Musik, um Tonfolgen, Atmosphären, Harmonien und Grooves. MP3 hat Musik in Bereiche transportiert, wo sie nie hätte hinkommen können. Ohne MP3 wäre die PsyTrance Kultur in Süd- und Mittelamerika heute nicht im Ansatz da, wo sie ist. MP3 ist ein wunderbares Tool zur Demokratisierung von Kultur. Früher hat man sich eine Schallplatte für 25 Mark gekauft, das war viel Geld. Man war sehr begrenzt im Zugriff auf Musik. Heute kann man alles hören, streamen oder laden. Alles. Jederzeit. Unabhängig von Plattenladenöffnungszeiten, Verfügbarkeiten, etc. Ist der DJ schlecht, ist er einfach zu faul zum Hören, oder einfach wirklich schlecht, weil ohne Talent – und sollte es lassen. Natürlich hat ein WAV eine höhere Datendichte als ein MP3. Ich persönlich kann WAVs und 320er MP3s aber auch auf sehr guten Kopfhörern oder auf großen Soundsystemen nicht unterscheiden. Niemand, der JPGs benutzt, anstelle von TIFFs, sagt etwas Schlechtes darüber. Die grundsätzlich negativen Aussagen über MP3s stammen mehrheitlich von Pseudo-Eliten, die mit Musik Geld verdienen oder sich ihre Machtposition nicht nehmen lassen wollen, wie die DAT-DJs zu jener Zeit. MP3 ist eine geniale, bereits über 25 Jahre alte Erfindung; das Patent ist grad ausgelaufen, nun ist es komplett frei und wird dadurch dazu einladen, es noch weiter zu verbessern. Nichts passt besser zur Kultur von Psychedelic Trance, als die freie Verfügbarkeit von Musik.
So wichtig Label als Musikverlage zu analogen Zeiten waren, um überhaupt eine Kultur zu propagieren, so annähernd sinnlos sind sie heute. Ich sehe bei vielen PsyTrance Labeln einfach auch keine inhaltliche oder stilistische Linie mehr. Heute werden Label nur noch benutzt, um Label-DJs und -Produzenten zu promoten. Das ist falsch. Die digitale Entwicklung wird dies ändern. Label werden eingehen, wie das einst glorreiche mushroom magazine gerade. Unser derzeitiges Internet ist ein Witz und wird erst noch eins werden. Wir leben in einer sehr interessanten Epoche und sind Zeugen dieses Umbruchs; wir sollten ihn genießen und nutzen.
Roberdo:
Gibt es da Analogien zum allgemeinen Informationsaustausch im Internet, im Sinne von Musikjournalismus? Gibt es heute eigentlich noch Bedarf dafür? Was denkt ihr dazu?
Mat:
Da guter Journalismus einen Wert hat und bezahlt werden muss, jedoch die klassischen Medienformate immer mehr aussterben, findet Öffentlichkeitsarbeit statt in Magazinen hauptsächlich auf den Websites, Social Media Seiten oder Newsletter der Labels und Festivals statt. Hier wird aber – gerade bei kleinen Organisationen – oft sehr viel falsch gemacht und unprofessionell gearbeitet.
Wenn wir nun alles Geld der Welt hätten, wäre ein Internet-Portal für die Community zwar ein geniales Projekt, welches sich über die Szene refinanzieren könnte, um qualitativ hochwertigen Journalismus zu ermöglichen – Aber weisst du was? Eine reine Finanzierung von den Machern der Szene sehe ich da nicht, da jede Organisation nur auf ihr Wohl bedacht wäre und alles schön reden möchte. Das Thema hatten wir schon mit dem “Trancers Guide” Projekt. Bei der kleinsten Kritik gab es Stress und wir standen beispielsweise zwischen zwei Veranstaltern aus einem Land, die sich gegenseitig nicht riechen können – und zusätzlich noch am Rande des finanziellen Abgrundes. Das muss ich mir nicht geben.
Liese:
So sehr ich mir es auch wünschen würde, ich befürchte diese Szene ist noch nicht bereit für wirklich guten Musikjournalismus. Klar, jeder sucht nach Promotion, aber kaum einer hat mehr als n’ Appel und ein Ei zu bieten. Die Schere im Kopf zwischen dem, was erwartet wird und dem, was man bereit ist dafür zu geben, ist einfach zu groß. Das betrifft ja auch nicht nur unser Magazin, die anderen “Fanzines” auch in anderen Szenen sind lange vor uns vom Markt verschwunden oder schon seit Jahren kostenpflichtig.
Kai:
Das ist ein wenig zu eng gesehen, denke ich. Journalismus darf generell niemals mit Werbung, bzw. Promotion verbunden werden. Das Druckkosten/Online-Problem betrifft heute jedoch jeden Journalismus. Früher gab es auf der ‘F.A.Z’ niemals ein Foto auf der Titelseite, und der ‘Spiegel’ war 2 cm dick. Heute lese ich auf besten online-Adressen wirklich üblen und tendenziellen Journalismus. Man informiert sich halt bei ‘Influencern’, solche, die sich fairerweise so nennen, oder schlimmer, die sich gar Journalisten nennen. Kostet eben nix. Für den User. Der Kultur kostet es ihre Identität und Authentizität. Wir haben damals Platten und CDs einen Monat vor Veröffentlichung bekommen, um rechtzeitig gedruckt sein zu können, wenn die Produkte im Laufe des Folgemonats im Plattenladen standen oder ggf. bestellt werden konnten. Heute kann man alles sofort hören. Der Party-Gänger 2019 weiss heute sooo viel mehr über Musik und kennt sooo vieles, weil ihm mehr Information und Musik direkt zur Verfügung stehen. Braucht man überhaupt noch jemanden, der einem sagt, was gut ist? Informativer und politischer Journalismus wird Bestand haben müssen, aber Kultur-Journalismus? Nein. Feuilleton ist Geschichte. War aber schön.
Rob:
Wie geht es für euch nun eigentlich weiter?
Mat:
Die Website mushroom-magazine.com und auch die Festival Map als zentraler Bestandteil und die Facebook Page als wichtiger Kanal mit seinen über 330.000 Fans werden so oder in einer sehr ähnlichen Form weitergeführt. Die Website braucht eigentlich dringend einen Relaunch, denn sie ist mittlerweile in die Tage gekommen und auch sehr langsam. Um das leisten zu können, denken wir über eine Crowdfunding Kampagne nach, in der die Psytrance Community am Projekt beteiligt wird.
Aber wir machen trotzdem weiter mit anderen Projekten. Viele von unseren Lesern im deutschsprachigen Raum kennen das Hempedelic Magazin, welches bis zu dieser letzten Ausgabe zusammen mit dem mushroom vertrieben wurde. Auch dieses Magazin stellen wir ein und machen mit der Website hempedelic.com weiter. Besucher von Hanfmessen im deutschsprachigen Raum werden unser Team dort noch öfters sehen, denn seit einiger Zeit verteilen wir dort an die Besucher die Hempedelic Goodie Bags. Darin befinden sich neben Flyern, kleine Produktproben wie Papers, Filter, Sticker und sonstiger netter Schnick Schnack.
Das Hauptprojekt wird von nun an aber deichweb.de sein. Dies ist eine Online Marketing Agentur, um offlinige Unternehmen wie Shops, Restaurants, Dienstleister, aber auch Events mit innovativen Marketingkonzepten zu helfen, einfach neue Kunden und Gäste zu gewinnen.
Als DJ Mat Mushroom werde ich aufgrund des Aufbruchs in neue Dimensionen nur noch vereinzelnd für besondere Events verfügbar sein. Den letzten offizielle Gig spiele ich auf dem diesjährigen 25. Antaris Projekt, weil es einfach so gut passt mit dem Jubiläum. Vielen Dank an dieser Stelle an Uwe für die Einladung.
Liese:
Als vielleicht einziger waschechter Hamburger hier fällt mir da ein schönes Seefahrer Zitat ein: „Wenn der Wind der Veränderung weht, suchen manche im Hafen Schutz, während andere die Segel setzen!“ (Unbekannt)
Für einen Likedeeler wie mich wird das mushroom magazine immer ein Hafen sein, den ich gerne wieder anlaufe, denn auch eine Webseite und die dazugehörigen Social-Media Auftritte brauchen ja ein wenig Pflege. Ansonsten mache ich einfach weiter wie bisher, irgendwas mit Medien und irgendwo zwischen Glücksritter und Robin Hood. Echte Hanseaten sind weltweit gesuchte (spirituelle) Berater.
Manjula:
Jedem Ende wohnt ein Anfang inne (Hesse). Da das mushroom magazine ja nicht ganz verschwindet, sondern statt ‘old school’ zu bleiben 😉 auch mit der Zeit geht (endlich wird so manch einer sagen 🙂 wird hier auch ein Stück weit meine Heimat bleiben. Ansonsten sind 2,3, Projekte in der Pipeline, zu gegebener Zeit wird die Social Media Gemeinde davon ‘Wind’ bekommen. Ich bin also nicht weg und ich freue mich jetzt schon sehr auf eine letzte Veranstaltung mit dem mushroom magazine und dem Juice Club zu Ehren zwei verstorbener mushroom lovers: “A Last Dance”. Mehr info in diesem Heft.
Rob:
Ich selbst bin schon seit vielen Jahren in anderen Musikszenen aktiv und haue mittlerweile auch ganz andere Geschichten in die Tasten… Ich brauche generell sehr viel Abwechslung im Leben. Mir wird schnell langweilig. Für mich war es nie eine “Leistung” seit 20 Jahren jedes Jahr auf das gleiche Festival zu fahren oder jedes Jahr auf dem gleichen Festival aufzulegen. Im Gegenteil – je älter ich werde, desto deprimierender finde ich solche Lebensentwürfe. Nochmal eine Frage an meinen Lieblings-Redakteur, Kai: Hattest du im Laufe der Jahre mal Momente, wo dir die Musik, die Partys, die Gesprächsthemen der Szene vorkamen, wie ein Loop?
Kai:
Ich habe PsyTrance glücklicherweise in unterschiedlichen Ländern und Szenen kennenlernen können. So sieht man andere Menschen und andere Energien in anderen Zeitrahmen. Und Loops entstehen damit weniger, anders oder später. Früher war vieles besser, aber vieles auch weit schlechter. PsyTrance ist als Szene weltweit stärker denn je. Die digitalen Techniken im Einklang mit der allgemeinen sozialen Frustration werden zu noch mehr Größe beitragen. Die Musik-Produktionstechnik wird ständig besser. Ich vermisse jedoch im Moment wirklich guten Psy-Trance. Seit 2016 ist diese – unsere – Musik am Sterben, alles ist nur noch auf Effekt und endlose Drumrolls ausgelegt, auf die Steigerung überbekannter Strukturen. Es fehlt ein neuer Visionär wie einst Cosma. Sogar Astrix – ja, er war früher mal großartig – beschwert sich nun auf Facebook über langweilige Musik auf Partys… ‘Music is the key’ …, und ist es noch immer. Ich denke, Psy-Trance wird mittelfristig langsamer werden und sich mit Techno und House wieder fusionieren. Es gibt bereits Musik in diesen Bereichen, die weit psychedelischer und ‘tranciger’ ist, als das, was wir derzeit gemeinhin Psy-Trance nennen. Die Schranken lösen sich seit Jahren; Stan Kolev und Matan Caspi auf dem letzten Halfmoon Festival sind ein sichtbarer Schritt voran. Das Festival-Feiern mit elektronischer, psychedelischer Musik wird niemals enden, der Goa-Mythos wird jedoch ein dringend nötiges musikalisches Upgrade erhalten.
Meine Vision von Psychedelic Trance als Konzept war das einer alternativen Gesellschaft. Es ging um Freiheit und Erneuerung – und sollte es noch immer. Die Welt des Psychedelic Trance sollte Vorbild sein und freiheitliche Werte und Systeme in die traditionelle, bürgerliche Welt übertragen können. Leider, nach nun fast 30 Jahren, klappt das immer weniger. Es macht keinen Sinn, Geschäftsmodelle und persönliche Interessen zur ‘Vermögensoptimierung’ einfach in diesen an sich so freien Space zu transportieren, sich die Taschen zu füllen und das Interesse einer spirituellen Erfahrung des Gastes finanziell zu missbrauchen. Das gilt sowohl für Musiker, die ihren Zenit wissend bereits weit überschritten haben und es wie alternde Politiker einfach nicht lassen können, auf der Bühne zu stehen. Das gilt für Label, die Musik veröffentlichen, die ihnen kurzfristigen kommerziellen Erfolg verspricht, aber Ihrer Philosophie widerspricht. Das gilt auch für jene Veranstalter, die ihre Balance verloren haben. Ich sehe derzeit zu viele Eisenzäune, Bankautomaten und Payment-Systeme auf Partys. Ein großes Übel sind auch diese ekelhaften Psy-Booking-Agenturen, die den Planeten mit dem ewig gleichen, inzestuösen Einheits-Party-Musik-Müll zukleistern und die Szene geradezu ersticken. Ich persönlich höre lieber gute DJs, die sich aus einem endlosen Pool von Musik definieren können, als das hundertste mal alte Tracks von den paar LPs und EPs von irgendwelchen Live-Headlinern, die immer und überall ihre nur bedingt reizvolle Show abziehen. Dennoch bin ich glücklich darüber, wo wir jetzt stehen; wir sind weit gekommen. Und jenen, die meinen, die Spiritualität sei generell nicht mehr da, sei gesagt, man kauft sie nicht mit einem Party-Ticket; der Spirit ist man selbst und im glücklichsten Fall zusammen mit Menschen auf der gleichen Frequenz. Mit dem Ticket, das man erwirbt, entscheidet man sich jedoch, welches System man unterstützt und ob und wieweit man dabei zuschauen will, den Spirit – also: sich selbst – ausverkaufen zu lassen.